Der feine Unterschied

Gibt es nicht-sexuelles Kuscheln?

Immer wieder werde ich gefragt, ob es denn überhaupt möglich sei, nicht-sexuell zu kuscheln. Gibt es überhaupt nicht-sexuelles Kuscheln? Viele Menschen haben noch nie erlebt, dass sie eine Berührung bekommen, ohne dadurch erregt zu werden. Ja, es handelt sich hierbei ausschließlich um Männer. Frauen können das Konzept der absichtslosen Berührung meistens problemlos nachvollziehen. Auch wenn sie es nicht mit ihrem Partner praktizieren, kennen sie es und wünschen es sich oft herbei. Betrachten wir die Umstände um diesen feinen Unterschied.

Eine Berührung wird zuerst von den Rezeptoren in der Haut empfangen. Diese Rezeptoren registrieren Temperatur, Druck, Kitzel, Schmerz, Oberfläche, Bewegung. Sie geben dem Gehirn primär die Information weiter, WAS einen da gerade berührt. Das ist im ersten Moment alles. Dann wird die Information vom Gehirn interpretiert, weitergeleitet und entsprechende Hormone werden ausgeschüttet. Da wir von Anfang an (als Baby) die Berührung der Mutter als angenehm empfinden, werden ähnliche Berührungen (sanft – langsam – warm – weich) als angenehm eingestuft und Oxytocin wird ausgeschüttet. Die angenehme Berührung der Mutter wird reaktiviert. Oxytocin bewirkt KEINE sexuelle Erregung. Es ist also möglich, nicht-sexuell zu berühren.

Warum ist es also für viele Menschen so schwer, absichtslose und sexuelle Berührung zu trennen? Leider wird oft im Laufe der Kindheit und der Pubertät Berührung neu konditioniert. Sie bekommt teilweise eine sehr negative Bedeutung (man fasst sich nicht an), außerdem wird sie extrem sexualisiert. Väter umarmen ihre Töchter nicht mehr, aus Angst, dass die Berührung (von außen) sexuell interpretiert werden könnte. Eltern umarmen ihre Söhne nicht mehr, weil sie Angst haben, diese zu verzärteln. Das Tabu, das in unserer Gesellschaft zwischen den Geschlechtern herrscht, wird auf die Kinder übertragen. Diese Konditionierung kann ein Leben lang halten.

Erfährt man also selten Berührung, und diese nur in sexuellen Kontexten (wie das in der Pubertät oft passiert), ist jede Berührung natürlich auch in Zukunft sexuell konnotiert. Es ist aber auch für diese Menschen möglich, absichtsloses Kuscheln wiederzuerlernen. Dies kann nur dann funktionieren, wenn man die sexuelle Erregung in einem ersten Schritt zuläßt und akzeptiert. Erst anschließend kann man von der daran geknüpften Handlung, dem gierigen/sexuellen Greifen, der weiteren Erregung bis hin zum Akt, Abstand nehmen. Dies geschieht, wenn man die eigene Erregung einfach nur beobachtet. Durch diese Haltung verwandelt die Erregung sich oft in einen neuen Gefühlszustand, der sich vielleicht mit einer tantrischen Ganzkörperaktivierung vergleichen läßt. Die in den Geschlechtsteilen angestaute Energie verteilt sich auf den ganzen Körper und verursacht hier ein Wohlgefühl.

Trainiert man diese bewusste Körperbeobachtung (ähnlich wie beim Meditieren), kann man die eigenen Körperzustände besser einordnen und ist ihnen nicht hilflos ausgeliefert. Dies funktioniert nicht nur beim Kuscheln zu zweit, sondern auch ganz allein zu Hause.

Ich kann nur empfehlen, dies immer wieder im Selbstversuch durchzuerleben und die verschiedenen Körperempfindungen zu genießen. Die Fähigkeiten der Haut werden von den wenigsten Menschen voll ausgeschöpft.

9 Replies to “Der feine Unterschied”

  1. Also ich bin ein junger Mann und für mich hat Kuscheln schon etwas sexuelles. Als ich das letzte Mal vor ca. 8 Jahren mit einer jungen Frau kuschelte habe ich immer eine Erektion bekommen. Mir war das nie peinlich. Das Kuscheln hat sich einfach gut angefühlt. Selbst mit Frauen die nicht so attraktiv waren. Natürlich wollte ich mit den Frauen auch schlafen. Nicht jeder Mann ist ein Traummann dem die Frauen zu Füssen liegen. Ich finde es echt bitter wenn man unfreiwillig auf diese Berührungen verzichten muß. Da gibt es echt eine Marktlücke. Ich finde es aber auch nicht gut wenn damit viel Geld verdient wird da es doch für beide Personen toll ist. Ganz ohne Berührungen wird man auf Dauer krank und verliert die Lust am Leben komplett. Echt traurig…

  2. Hallo! Ich bin gespannt u d neugierig darauf,ob sich euer Konzept durchsetzt. Es klingt ja irgendwie echt interessant. Es wäre fűr viele alte Menschen auch wichtig,wieder berűhrt zu werden. Ich arbeite beruflich mit Sexarbeiterinnen,da geht es natűrlich anders zur Sache.
    LG Andrea Schuh

  3. Eure Idee finde ich wirklich innovativ und würde mir wünschen das mal zu erleben. Ich selber bin ein Typ Mensch der gerne berührt und berührt wird, halte mich da aber oft zurück aus Scham das es falsch interpretiert werden könnte…z.B als übergriffig Bei meinen Geschlechtsgenossinen bei der Arbeit wird sich kurz umarmt oft zls Begrüßung oder zum Abschied. Mir gefällt das gut umarmt zu werden, traue mich aber oft nicht den ersten Schritt zu tun. Diese Körperlichkeit würde mir als Kind schon als ungewöhnlich ausgelegt. In meinrt Jugend würde ich immer zurückhaltender.Mein Umfeld war leider so, auch in der Familie. Ich leide heute immer noch an Berührungsmangel…
    Bin mittlerweile fast 60 und als Frau normal schon fast Unsichtbar geworden…😒

  4. Elisa schreibt oben: „Oxytocin bewirkt KEINE sexuelle Erregung.“ Stimmt. Auch ich bin froh, das Kuscheln als solches genießen zu können und dabei keinerlei sexuelles Verlangen zu verspüren.

    Umso befremdlicher (und ärgerlicher) fand ich meine dennoch auftretenden Erektionen. Dass mich diese aber gar nicht verwundern müssen, habe ich erst kürzlich nachlesen können: Das beim Kuscheln ausgeschüttete Oxytocin erfüllt, wie so viele andere Hormone, zahlreiche verschiedene Funktionen und hat u. a. „auch eine starke pro-erektile Wirkung“. Es „aktiviert […] erregende Nervenbahnen, die vom Erektionszentrum des Rückenmarks zum Penis laufen.“ (https://www.spektrum.de/magazin/vom-gehirn-gesteuert-die-erektion/826895)

    Da es also offenkundig normal ist, dass eine Erektion nicht nur durch Reize und Kopfkino hervorgerufen werden kann, habe ich mich inzwischen damit arrangiert. Die Erektionen kommen und gehen, und ich schenke ihnen möglichst wenig Beachtung.

    1. Danke für den interessanten Artikel! Hier heisst es aber auch eindeutig, dass bei sexueller Erregung Oxytocin ausgeschüttet wird. Das ist mir zwar auch neu, bedeutet aber auch, dass die Stimmung schon vorher gekippt ist.
      Das stimmt mit meinen Beobachtungen überein, dass bestimmte Berührungen auf sexuelle Erregung konditioniert sind. Das läuft natürlich unbewusst und unkontrollierbar ab, deswegen ist deine Schlussfolgerung dennoch richtig: einfach ignorieren und weiterkuscheln!
      Was am nächsten an eine unsexuelle Erektion rankommt ist wahrscheinlich die „schlafende Erektion“, wenn das Gehirn auf Schlaf oder tiefe Entspannung umschaltet und sich das System selbst reguliert.
      Liebe Grüße,
      Elisa

  5. Deine These, dass besonders Männern in unserer Gesellschaft häufig die Rolle des reinen Sexualsubjekts aufgezwungen wird und sie dadurch schon früh lernen, Berührung generell sexuell zu interpretieren, kann ich nachvollziehen. Doch bei mir läuft sie ins Leere, weil ich – so traurig das auch ist – nach meiner Kindheit keinerlei Berührungen mehr erfahren durfte und es damit schlichtweg keine Gelegenheit gab, mich in dieser Hinsicht irgendwie zu konditionieren.

    Auch Deine Vermutung, dass meine Stimmung vor dem Eintreten der Erektion schon gekippt sein könnte, trifft nicht zu. Tatsächlich habe ich in meinen bisherigen Kuschelsessions nie an Sex denken müssen. Vielleicht, weil dieses Bedürfnis in mir wenig ausgeprägt ist und es allein die fast schon mütterlich empfundene Geborgenheit ist, die ich beim Kuscheln suche. Ich empfinde keinerlei sexuelle Erregung und bemerke meine Erektion erst durch das eintretende Spannungsgefühl.

    In diesem Zusammenhang haben wir dann auch die Ursache für die Ausschüttung des Oxytocins verschieden verstanden. Zwar kann diese auch in sexueller Erregung liegen, doch in meinem Fall kann ich sie nur im Kuscheln erkennen. Und wenn, wie im verlinkten Spektrum-Artikel beschrieben, ein erhöhter Oxytocin-Spiegel die Nervenbahnen des Erektionszentrums aktiviert, dann muss das doch bedeuten, dass auch unsexuelles Kuscheln zu einer Erektion führen kann. Die verschiedenen Funktionen des Oxytocins scheinen demnach einfach zu kollidieren.

  6. Die sexuelle Erregung durch taktile erotische Reize (auch Kuscheln) ist eine völlig normale psychogene sexuelle Reaktion und zählt zu den 3 Erektionstypen eines Mannes. Dies sollte keinem Mann peinlich sein und er sollte sich eher über seine intakte normale Sexualität freuen.
    Die psychogene Erektion, die durch erotische Reize aktiviert wird (visuell, imaginär, haptisch …). Im Gehirn wird die Freisetzung von Neurotransmittern ausgelöst (Dopamin, Oxytocin).
    Viele Grüße

  7. Meine Psychotherapeutin sagt, dass es vollkommen normal ist, eine Erektion beim Kuscheln zu bekommen.

    Nur wenn man besonders viel Körperkontakt mit anderen Menschen hat, bekommt man mit der Zeit keine Erektion mehr, weil der Körper sich an den vielen Körperkontakt gewöhnt.

    Mögliche Schlussfolgerung: Frauen berühren einander im Alltag viel öfter als Männer. Könnte es sein, dass das einfach der Grund ist, warum sie keine/weniger Erektionen dabei bekommen?

    Und eine Erektion ist nicht das gleiche, wie sexuelle Erregung. Sie ist rein körperlich und vollkommen getrennt von Lustempfinden (aber kann natürlich gleichzeitig auftreten was zB beim Sex wünschenswert ist).

    Und was sie auch mehrmals gesagt hat:
    Frauen bekommen durchaus Erektionen beim Kuscheln. Man sieht es nur durch die Hose nicht daher fragt niemand nach – es ist ihnen nicht peinlich.
    Außerdem haben sie seltener das Gefühl, eine Erektion verbergen zu müssen, weil man sie ja ohnehin durch die Hose nicht/kaum sieht.

    1. Hallo Peter, sehr interessant!
      Wenn du mit unseren männlichen Kuschlern kuschelst und dabei eine Erektion bekommst, bestätigt das durchaus die Theorie deiner Psychotherapeutin.
      Du kannst ja mal beides (männliche und weibliche Kuschler) ausprobieren und uns berichten!
      Liebe Grüße von der Kuschel Kiste!

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