Die Kuschelbewegung und #metoo

Ganz aktuell gibt es zahlreiche Frauen, die sich endlich trauen, mit einem heiklen Thema öffentlich zu werden. Frauen von überall und aus allen Schichten beschreiben ihre negativen Erlebnisse mit sexistischem Verhalten, Übergriffen, Grabschen, sexuellem Mißbrauch, Vergewaltigung. Als Folge davon werden auch viele Situationen aufgezählt, in denen Frauen sich negativ berührt gefühlt haben. Es zeichnet sich ein Bild, in dem Frauen auf keinen Fall von Fremden und speziell von Männern berührt werden wollen.

Als eine der Initiatorinnen der Kuschelbewegung in Österreich und Deutschland habe ich dazu eine dezidierte Meinung.

Betrachten wir erst einmal die wissenschaftliche Perspektive. Eine angenehme Berührung, auch solche von nur wenigen Sekunden, kann die Laune schlagartig steigern. Dabei ist es völlig egal, ob sie von einem bekannten oder fremden Menschen kommt. Das haben psychologische Studien gezeigt. Besonders deutlich wird dies bei Ärzten und Lehrern, also Berufen, in denen andere Menschen sich auf einen verlassen. Die Patienten wurden schneller gesund, haben eher überlebt, die Schüler hatten bessere Noten, wenn sie nur kurz an der Schulter berührt wurden. (Zum Beispiel.)
Auf der anderen Seite finden wir unangenehme Berührungen, die dadurch unangenehm werden, dass sie eine sexuelle Intention mittragen oder negative Gefühle transportieren wie bei Situationen der Machtausübung, des Mobbings, usw. Die Wirkung ist genau gegenteilig: Der Mensch weicht zurück, geht auf Abwehr, Cortisol, das Stresshormon, wird ausgeschüttet.

Ein weiterer wissenschaftlicher Aspekt betrifft den Berührungsmangel. Menschen, die chronisch Unterkuschelt und isoliert von Berührung leben, leiden unter verschiedenen Symptomen: Sie werden weniger empathisch, weniger sozial und sind viel eher zu agressiven Reaktionen bereit. Ein weiteres Symptom: Das Bedürfnis nach Sex steigt und ersetzt das Bedürfnis nach Kuscheln. Dies sieht man speziell bei jungen Erwachsenen, die zum Beispiel im Heim großgeworden sind oder unter anderen prekären Bedingungen. Dieser Zusammenhang wirkt auf den ersten Blick unlogisch, ist aber mit dem unterschiedlichen Hormonhaushalt leicht zu erklären. Je weniger Oxytocin, desto „unkuscheliger“ werden die Menschen. Die Bereitschaft, sich auf nicht-sexuelle, absichtslose Berührung einzulassen, sinkt auf ein Minimum. Dagegen steigt die agressive Suche nach Sex.

Wenn wir diese zwei Komponenten nun auf die derzeitige Situation in der Gesellschaft übertragen, werden zwei Seiten desselben Problems deutlich. Einerseits der klare Umgang mit Berührung: Frauen müssen, genau wie Männer, ihr Unbehagen bei unangenehmer Berührung äußern. Gleichzeitig müssen sie auch ihr Bedürfnis nach Berührung klar und deutlich äußern, sei es verbal oder nonverbal. Wird die Zustimmung, also der consent, nicht deutlich genug auf körperliche Art und Weise ausgedrückt, muss sie durch Nachfragen erforscht werden, also verbal. Beugt die Frau sich zum Beispiel beim Kuss nicht eigenständig vor, um zurückzuküssen, ist kein consent gegeben. Zahlreiche Hollywoodschnulzen wollen uns vom Gegenteil überzeugen, dem ist aber nicht so. Verlangen muss von beiden Seiten aktiv ausgedrückt werden. Diese Gefühlsäußerung haben viele Frauen verlernt, um ihr Verlangen nicht deutlich sichtbar zu machen und damit eventuell als Hure zu gelten.

Die Rollenverteilung des Mannes als aktivem Part und der Frau als passivem kann nicht länger aufrecht erhalten werden, wenn wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln wollen. Männer müssen auf der anderen Seite lernen, wie man angenehme Berührungen gibt. Auch wenn der Hormonspiegel ungünstig ist, muss die Technik des absichtslosen Berührens gelernt werden. Wenn die Geschlechter ihre Rollen nicht aufgeben wollen und nicht neu kommunizieren lernen wollen, wird #metoo zu einer noch berührungsfeindlicheren Gesellschaft führen. Dabei sollte so viel wie möglich berührt werden, auch unter Fremden. Denn nur so kann Vertrauen in das soziale Umfeld aufgebaut werden. Nur so können Menschen überhaupt zusammenleben.

Bei unseren Kuschelparties zum Beispiel können diese Bewegungen und Berührungen neu geübt und wiedererlernt werden. Es ist immer wieder faszinierend, Menschen bei diesem Wiederentdeckungsprozess zu begleiten.

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