Geben und Nehmen

Kuscheltherapie ist in einem Punkt sehr verschieden von anderen Dienstleistungen. Immer wieder sind Interessierte, Kunden aber auch Azubis der Kuscheltherapie erstaunt, dass das Kuscheln nicht einseitig abläuft. Darüber will ich in diesem Blogbeitrag schreiben.

Geben

Das Natürlichste beim Kuscheln scheint die gebende Rolle zu sein. Das kennt man auch von der Massage, der Masseur ist eindeutig erkennbar durch seine Handlungen; auch der Kunde, nämlich indem er ganz passiv auf der Liege liegt und sich verwöhnen läßt. Es wäre ein Bruch in den klar verteilten Rollen, wenn der Kunde selbst Hand anlegen würde oder wenn der Masseur sich mal ganz faul danebenlegen würde.

Beim Kuscheln gibt es viele Positionen, wo der Kuschler ganz eindeutig „die Oberhand“ hat und den Kunden wie ein Baby hält, verwöhnt, streichelt, drückt, und so weiter. Sieht man ein Kuschelfoto, geht man automatisch davon aus, dass der Haltende in diesem Bild der Profi ist. Diese Person ist ja auch aktiv und wird dafür bezahlt, etwas zu tun.

Kunden, die einfach nur erschöpft sind, im Alltag oft die Geberrolle einnehmen, also Pfleger, Dienstleister, Ärzte, Therapeuten, Mütter, Väter und so weiter, werden sich beim Kuscheln erst einmal komplett fallen lassen wollen. Das ist zwar eine neue, ungewohnte Erfahrung, einmal nichts tun zu müssen, dafür aber umso genussvoller. Hier empfielt sich auch defintiv, die passive Rolle einzunehmen.

Besonders geeignete Positionen: Wiege, kleines Löffelchen, seitliches Ankuscheln.

Nehmen

Nun gibt es beim Kuscheln aber noch mehr Rollen, die man einnehmen kann. So kann der Profi auch in die gegengesetzte Rolle eintauchen. Wir reden hier nicht von nehmen, sondern von zulassen. Wir als Kuschler können also auch mal in die „schwache“ Position gehen und uns halten lassen, uns streicheln und kraulen lassen. Der Kunde geht nun in die aktive Rolle, und zwar aus dem Grund, weil es ihm Spaß macht.

Viele Kunden leider unter einem bestimmten Aspekt der Einsamkeit: Nichts geben zu können. Sie wünschen sich sehnlichst jemanden herbei, dem sie etwas Gutes tun können, den sie verwöhnen können. Jemand, der wohlig seufzt, wenn du besonders gute Streicheleinheiten verteilst. Tatsächlich ist das neben dem aktiven Part ein wesentlicher Bestandteil des Kuschelns.

In unseren Köpfen ist eingeprägt, dass man als Dienstleister aktiv etwas tun muss, um sein Geld zu verdienen. Passivität ist für viele undenkbar. Anders bei der Kuscheltherapie: Etwa ein Drittel der Kuschelzeit mit den Kunden verbringen wir in der passiven Haltung, wir werden also gehalten. (Natürlich achten wir dabei auch auf unser Wohlbefinden und sagen direkt, wenn uns etwas nicht gefällt.)

Warum ist das so wichtig? Beim Kuscheln aktiv zu sein, vermittelt ein wichtiges Gefühl: Etwas Gutes zu tun, etwas gut zu können, also durch mein eigenes Tun etwas bewirken zu können, und zwar den Kuschler in einen zufriedenen und entspannten Zustand zu bringen. Hier steigt also das Selbstbewusstsein, die Berührungskunst wird trainiert, mein Körper lernt eine direkte positive Erfahrung.

Aktives Kuscheln kann also für Kunden mit wenig Selbstbewusstsein und wenig Tatkraft ein wesentlicher Bestandteil des therapeutischen Prozesses sein, der ganz von selbst abläuft. Bei Apathie und Depression kann die Aktivität neue Freude am Leben entfachen und Mut machen.

Besonders geeignete Positionen: Gegeseitiges Umschlingen (seitlich), seitliches Halten, großes Löffelchen.

Fazit

Bei der Kuscheltherapie ist es für uns wesentlich, sich ganz auf die Bedürfnisse des Kunden einzuschwingen. Ist dieser ausgelaugt und braucht Halt, dann gehen wir in die aktive Rolle. Ist er jedoch depressiv, gehemmt, schüchtern, apathisch und hat wenig Selbstbewusstsein, bieten wir dem Kunden auch die aktive Rolle an. Natürlich nicht zu schnell und in vollem Ausmaß, sondern im Tempo des Kunden. Meistens kommen beim Kunden die Impulse mit der Zeit wie von selbst. Diese werden von uns nicht abgewehrt, sondern im Gegenteil, ermutigt.

Überrascht?

Liebe Grüße von eurer Elisa

 

P.S.: Wollt ihr mehr zu den verschiedenen möglichen Rollen beim Kuscheln erfahren? Dann schaut euch mal Betty Martin’s Konsens Rad an. (wheel of consent)

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