Gestern im Radio, auf fm4, ging es wieder ums Kuscheln und ums Berühren. Zuhörer konnten anrufen, um sich dazu zu äußern. Darunter auch ein Mann, der Schreckliches in seiner Kindheit erlebte, physische und sexuelle Gewalt. Seitdem kann er Berührung nicht mehr aushalten. Daran hat sich bis jetzt nichts geändert, und er will auch nichts mehr dran ändern. Er hat zu viel schlechte Erfahrungen mit dem System aus Therapeuten, Psychologen, Psychiatern gemacht. Es gibt extrem viele Menschen wie ihn, nur meistens zeigen sie sich nicht so offen. Meistens wird geschwiegen.
Hier könnt ihr die Sendung nachhören.
Wenn schon der Mangel an Berührung in der Kindheit zu lebenslangen Problemen im Umgang mit anderen Menschen führt, wie kann man sich dann den Missbrauch von Berührung vorstellen? Vor allem wenn dieser systematisch angewendet wurde? Es ist die Hölle auf Erden. Ich bekam eine bewegende Antwort auf unsere Sendung, auch bei diesem Mann hat sich der Beitrag des Anrufers eingeprägt. Er schickte mir ein Video, in dem ein Hund zu sehen ist, der von Anfang an nur geschlagen wurde. Die Frau im Video berührt ihn liebevoll, und es dauert eine Weile, bis der Hund sich beruhigt, keine Angst mehr zeigt, die Berührung akzeptieren kann. Nach einigen Tagen lässt er sich dann herumtragen und sieht schon etwas glücklicher aus. Der Mann schrieb am Ende: „Ich denke dass deine Arbeit genau das ist.“
In der Sendung hätte ich gern noch viel mehr auf den Bericht des Zuhörers geantwortet. Leider war die Zeit viel zu kurz. Der Beitrag hat sehr viele Aspekte unseres Berufes berührt. Ja, unsere Arbeit ist genau das: Menschen, die keine Berührung mehr gewöhnt sind, an Berührung gewöhnen. Dabei ist unsere Position als nicht-ausgebildete Psychologen sogar hilfreich. Wir betrachten unsere Kunden nicht als Fälle, sondern als gleichgestellte Menschen. Wir reden immer auf Augenhöhe, wir versuchen NICHT, Probleme zu lösen, den Kunden als therapeutisches Objekt zu sehen. Diese objektivierende Sichtweise, diese Handhabe, macht viele Probleme noch schlimmer. Ich meine damit nicht, dass Psychologie und Therapie prinzipiell alles nur schlimmer machen. Allerdings gibt es ein großes Problem im System der Einordnung der verschiedenen Fälle (=betroffene Personen) in angebrachte Handlungsweisen. (Ich muss dabei immer an „Einer flog übers Kuckucksnest“ denken, an die teilweise völlig deplazierten Insassen im Heim.) Das sagt zum Beispiel auch Gerd Achenbach, der Begründer der philosophischen Praxis. Leider werden alle Fälle, die nach psychischen Problemen „riechen“, pauschal nach einem gewissen System abgearbeitet. In diesem System gehen viele Menschen unter. Denn zuerst wird man mit Medikamenten ruhig gestellt, anschließend erst erfolgt die genauere Diagnose. Dazu kommt, dass man von einem Zuständigen zum Nächsten weitergereicht wird. Jeder kennt solche Erfahrungen aus erster oder zweiter Hand, selbst ein normaler Arztbesuch fühlt sich meistens an wie eine Massenabfertigung. Ob jemand nun eine philosophische Beratung, eine Kuschelsession, Psychopharmaka, eine Gesprächstherapie, Körperpsychotherapie oder Massage braucht, ist erst nach einer intensiven Untersuchung erkennbar. Dafür bleibt meistens keine Zeit.
Besonders die Fälle, in denen Missbrauch durch Berührung stattfand, brauchen sehr viel Geduld und Zuwendung. Erwiesenermaßen hilft diesen Menschen auch achtsame, absichtslose Berührung. So zum Beispiel Massage, Craniosacrale Berührungen, somatische Therapie und Körperpsychotherapie. Eine kurze Übersicht ist hier zu finden. Auch das Kuscheln kann in diesen Fällen zusätzlich zu einer „normalen“ Therapie helfen. Dabei tastet der Kunde sich an seine eigenen Grenzen heran und entscheidet selbst, wann und wieviel berührt wird. Damit wird die Ohnmacht und die Hilflosigkeit, die körperlich erfahren wurden, nach und nach aufgelöst und durch ein selbstbestimmtes, selbstsicheres Berühren ersetzt. Es kann natürlich einige Wochen, sogar Monate dauern, bis der Kunde sich ganz normal anfassen lassen kann. Dabei spielt die Umgebung eine wesentliche Rolle sowie der allgemeine psychische Zustand.
Ein wesentlicher Faktor bei Missbrauch sind auch die unterdrückten Gefühle. Hilflosigkeit verwandelt sich in Angst und in Wut, welche aber nicht ausgelebt wird. Solche Gefühle können natürlich auch bei einer Kuschelsession hervorkommen, dies kann auch sehr heilsam sein. Eine Betreuung durch einen ausgebildeten Therapeuten ist in diesen Fällen aber unerlässlich. Wir Kuschler sind eher die praktische Einheit, in der das beim Therapeuten neu Gelernte umgesetzt werden kann. Meistens will man Freunde und Verwandte mit diesen Problemen nicht belasten und kann so die Therapiestunden nur schwer in den Alltag integrieren. Wir helfen auch in solchen Fällen.
Zum Abschluss kann ich nur sagen, dass es selbst nach jahrelanger Berührungsangst möglich ist, diese Grenze zu überwinden und damit den Teufelskreis, der durch Missbrauch entsteht, zu durchbrechen. Ich wünsche jedem, der davon betroffen ist, dass er die richtige Anlaufstelle findet und wieder glücklich wird.