Streichel dich selbst!

Berührungsmangel in Symptomen: Mangel an Selbstliebe

 

Berührungsmangel ist eine Krankheit. Wird der Tastsinn nicht gefüttert, wie unser Magen und unsere Lungen, dann trocknet er aus und Mangelerscheinungen machen sich bemerkbar. Leider ist diese Krankheit in der Gesellschaft noch längst nicht anerkannt. Deswegen wollen wir über diese noch versteckte Krankheit sprechen und auch darüber, wie man sie erkennt.

Wie jede Krankheit kann man auch den Berührungsmangel an bestimmten Symptomen erkennen.

Letztens bei der Kuschelparty kam ein interessantes Feedback von einem Mann, der beschrieb, wie er nach langer Zeit seinen eigenen Körper wiederentdeckte. Davor hat er sich angezogen, gewaschen, gepflegt, ohne seinen Körper überhaupt bewusst wahrzunehmen. In einem bestimmten Moment war er aber gezwungen, sich im Spiegel in die Augen zu sehen und sich selbst zu betrachten. Das war für ihn ein Dreh- und Angelpunkt in seiner Entwicklung. Er nahm seinen Körper bewusst wahr, aber ihm wurde auch bewusst, dass er ihn bisher völlig vernachlässigt hatte. Bei Kuschelparties gibt es auch häufig einen Teil, bei dem man sich selbst streichelt. Manche genießen diese Übung, andere können gar nichts damit anfangen.

Die Selbstberührung hat zwar nicht den gleichen Effekt wie die Fremdberührung, trotzdem kann sie viel bewirken. Wie jede Berührung übermittelt auch sie die Botschaft von Zuneigung und Aufmerksamkeit, in diesem Fall für sich selbst. Man kann Stunden damit verbringen, den eigenen Körper zu erforschen, was sich gut anfühlt, wie man sich selbst kitzeln kann, wie man sich in den Schlaf streichelt oder hält. Es kann eine spannende Entdeckungsreise sein. Nur Menschen, die ein gutes Verhältnis zum eigenen Körper haben und sich selbst angenehm berühren können, können auch andere angenehm berühren. Denn der Tastsinn funktioniert vor allem nach dem Spiegelprinzip, man berührt in der Regel so, wie man selbst gern berührt wird. Wenn es hier eine Leerstelle gibt, kann man auch nichts vermitteln.

Menschen, die lange keine Berührung erlebt haben, weder von anderen noch von sich selbst, leiden an Berührungsmangel und lösen sich nach und nach vom eigenen Körperempfinden. Der eigene Körper wird immer mehr zum Fremdkörper. Immer öfter werden die Situationen, in denen man sich selbst berühren muss, zur Qual. Waschen, abtrocknen…das alles wird schnell und hastig erledigt. Dies kann zur Vernachlässigung führen, zu Ekel vor dem eigenen Körper, und sogar zu Angst vor dem eigenen Körper. Denn seine Funktionen werden einem immer fremder, seine Botschaften unentschlüsselbar. Diese Menschen werden natürlich auch oft krank, häufig auch chronisch. Der Körper macht mit immer krasseren Maßnahmen auf sich aufmerksam. Hier leidet natürlich auch das Intimleben, denn Beziehungen werden unmöglich. Kuscheln und Sex funktionieren nicht mehr, es ist eher lästig und unangenehm. Genau wie den eigenen Körper versteht man auch den fremden Körper nicht mehr.

Ein interessanter Gedanke ist hier, dass viele Männer sich vor anderen Männerkörper ekeln, weil sie ihren eigenen auch ekelhaft finden. Wenn man als Mann einen Mann anfasst, ist man nicht mit einem weichen Frauenkörper konfrontiert, sondern mit einem Spiegelbild des eigenen Körpers. Es fühlt sich an, als würde man sich selbst anfassen, hat mir ein Bekannter von seiner Tantraerfahrung mit Männern erzählt. Diese Barriere zu überwinden war für ihn unglaublich heilsam. Heilsame Erfahrungen kann man als Patient mit Berührungsmangel in verschiedenen Settings machen. Wichtig ist aber vor allem die Selbstberührung. Diese sollte man so lange üben, bis wieder ein Funke Selbstliebe und Selbstvertrauen überspringt.

Wenn ihr verschiedene Aspekte aus dem Beitrag bei euch selbst erkennt, dann holt euch Hilfe! Und im Kleinen könnt ihr bei euch selbst anfangen, wie ich beschrieben habe.

Große Umarmung!

Eure Elisa

5 Replies to “Streichel dich selbst!”

  1. Liebe Frau Meyer,
    leider finde ich Ihren Beitrag erst jetzt, wohl weil mir die Wichtigkeit des sich Streichelns für einige Zeit selbst abhanden gekommen zu sein scheint. Ich finde, was Sie hier geschrieben haben, äußerst bemerkenswert, oder anders: einfach klasse!
    Wenn mich ein Thema besonders berührt, neige ich dazu, nach Überlegungen anderer, meist im wissenschaftlich Literarischen zu suchen. Deshalb frage ich Sie und alle, die Ihren Text lesen, ob Ihnen Schriften zur Sache bekannt sind und ob Sie diese hier einmal aufführen könnten.
    Wenn es manchem schon schwer fällt, seinen Körper noch liebevoll zu berühren, hilft es vielleicht, auf der Ebene des Geistes wieder einen Zugang und den nötigen Mut zu finden.
    Mit Spannung warte ich auf Ihre Kommentare.
    Herzliche Grüße
    F. Knapp

    1. Danke für den netten Kommentar. Speziell hervorheben würde ich Homo Hapticus von Dr. Grunwald und Berührungshunger von Dr. Meyer, mir selbst (wird bald erhältlich sein).
      Eine komplette Literaturliste ist als Dokument unter „Philosophie“ hier auf der Website zu finden.
      Liebe Grüße!

      1. Hi Elisa,
        nachdem ich mich ein wenig auf eurer Seite und auch bei youtube.com umgesehen habe, entschließe ich mich jetzt mal „dreist“ zum Duzen; die Vierzig haben wir beide noch nicht geknackt.
        Danke für die Antwort! Grunwalds Schmöker kenne ich, wobei die Wichtigkeit der Selbstberührung zwar klar wird, aber ein Umgang mit dem Ekel vor dem eigenen Körper, soweit ich mich erinnere, keine Erwähung findet.
        Kiebgis & Müller-Oerlinghausen finde ich da schon besser (siehe Übungen), aber bei der Lösung des Grundproblems hilft’s leider auch nicht: gegen Verdrängung.
        Ja, ich weiß, in der Verhaltenstherapie (zu deren Methodik die Konfrontation gehört) ist das keine beliebte Sichtweise. Trotzdem gibt es sie.
        Was ist mit den Menschen, die sich in der Gefahr sehen, durch (Selbst-)Berührung wieder zu fühlen, was sie nicht fühlen wollen, oder glauben fühlen zu dürfen?
        Liebe Grüße in die alte Wahlheimat
        Friedrich

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